21/05/2021

Der Staat in den Fängen der Kirche

Der Modus – gestern und heute – Spezial Nr. 6: Der Staat in den Fängen der Kirche

Im 19. Jahrhundert klagte der Kirchenkritiker Otto von Corvin: „Den dummen Menschen gingen die Augen nicht auf. Fürsten und Völker ließen sich von den Päpsten das Fell über die Ohren ziehen und küssten dafür den Tyrannen noch immer demütig den Pantoffel.“

Das alles hat System, bis heute. So hat die katholische Kirche in ihren Dogmen die Zwei-Schwerter-Lehre festgelegt, wonach sowohl die weltlich Regierenden, die Politiker, als auch die Priester ein Schwert führen sollen, doch nicht gleichberechtigt. Wörtlich: „Es gehört sich aber, dass ein Schwert unter dem anderen ist und die zeitliche Autorität sich der geistlichen Gewalt unterwirft.“

Eine Frage dazu: Unter dem Etikett “christliche Werte” werden bis heute auch Waffen produziert. Wenn Soldaten dann unter dem Etikett “christliche Werte” töten müssen, wer trägt dann die Schuld, Kirche oder Staat?

Martin Luther hat das System ein wenig anders in Worte gefasst. Bei ihm sind es “zwei Reiche”, die nebeneinander stehen, Staat und Kirche, die einander dienen sollen, was aber letztlich auf das gleiche hinausläuft, da eben vor allem der Staat der Kirche dienen muss und auch sonst die in Luthers Zwei-Reiche-Lehre aufgestellten Anweisungen und Vorgaben der Kirche zu erfüllen hat.

Dies erklärt vieles, vor allem die Milliardensubventionen des deutschen Staates an die beiden Großkirchen. Deren Führungspersonal wird meist pauschal vom Staat bezahlt, indem die Klerikergehälter in einen Gesamtzuschuss eingerechnet werden; oder es wird sogar unmittelbar bezahlt, wenn es etwa in Bayern in den Gesetzen heißt, der Freistaat zahlt für den Erzbischof von München und Freising in Höhe des Grundgehalts der Besoldungsgruppe B 10 …“ Dazu muss man wissen: B 10 – das sind 2020 13.500 Euro Grundgehalt plus Zulagen, und dazu kommt dann noch zusätzlich ein 13. Monatsgehalt in gleicher Höhe. Es folgen dann sechs weitere bayerische Bischöfe mit ihren entsprechenden Gehältern. Dann weiter 14 “Dignitäre”, 60 “Kanoniker”, 42 Domvikare, acht Weihbischöfe, sieben Generalvikare, ein hauptamtlicher bischöflicher Sekretär, sechs nebenamtliche bischöfliche Sekretäre, und es geht bis hin zum Dommesner und dem Weihrauch für die Dom-Messen, was der Staat allein in Bayern bezahlt und was deshalb alle Steuerzahler finanzieren müssen, auch Atheisten, Muslime, Urchristen und Kirchenaussteiger aller Art.

Die kirchliche Zwei-Schwerter-Lehre bzw. ihre evangelische Untervariante mit den “zwei Reichen” beantwortet auch das Verhalten von Politikern angesichts unzähliger Sexualverbrechen von Priestern an Kindern, wo führende Talarträger bis heute beispielsweise Gutachten zurückhalten, die auch von Staatsvertretern nicht beschlagnahmt werden. Weshalb duldet es der deutsche Staat also, dass die Vatikankirche ein eigenes kirchliches Rechtssystem anwendet, eine Art Staat im Staate? [In der Sendung sind bei dem Stichwort “heute” u. a. Aspekte dieses Rechtssystems von 2019 zugrunde gelegt, die Ende jenes Jahres zwar geringfügig geändert wurden. So trat bei kirchlichen Verfahren über priesterliche Kinderschänderverbrecher anstelle des bisherigen päpstlichen Geheimhaltungsgebots mit Androhung von angeblich ewiger Hölle bei Zuwiderhandelung jetzt die “Vertraulichkeit”, was faktisch jedoch auf das Gleiche hinauslaufen kann wie bis dahin auch. Auch wenn es heißt, die Verbrecher dürfen nun an die Staatsgewalt gemeldet werden; aber eben nur “dürfen”, nicht müssen.]

Und warum subventioniert der Staat diese Kirche auch noch Jahr für Jahr mit Unsummen an Steuergeldern, ohne irgendeine Gegenleistung dafür zu verlangen? Und warum gleichzeitig auch die lutherische Kirche? Weshalb vermag der Staat es nicht, sich aus dieser fatalen Abhängigkeit auf Kosten aller Steuerzahler zu befreien? Dies muten die Politiker also bis heute den Bürgern zu, obwohl den meisten von ihnen vom katholischen Dogma und den evangelischen Bekenntnisschriften angeblich ewige Hölle für ihren nichtkatholischen oder nichtevangelischen Glauben angekündigt wird, darunter laut katholischem Dogma auch Menschen jüdischen Glaubens. Wenn sich die Kirche dann heute pro forma von Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus distanziert, ohne aber ihr zugrunde liegendes Höllen-Dogma zu verwerfen, das beispielsweise eben auch Menschen jüdischen Glaubens betrifft, die nicht in die Kirche übertreten – was ist das anderes als Heuchelei?
Wer die Kirchen bedingungslos finanziert, wie der deutsche Staat das tut, der finanziert jedenfalls auch ihre Dogmen und Lehrsätze, wozu auch gehört, alles “ausmerzen” zu müssen, was dem Glauben zuwiderläuft (katholisch) oder ein unfreier Wille bei für das “Seelenheil” entscheidenden Glaubens- und Lebensfragen (lutherisch). Das ist die kirchliche Lehre, nicht die schönen Worte an Weihnachten und Ostern.

Und sind die von den Dogmen geschürten Ängste um das Seelenheil vielleicht immer noch die tiefere Ursache dafür, dass die Kirche weiter maßlos von den staatlichen Autoritäten beschenkt wird? Immer der gleiche Modus, gestern und heute. Politiker, die das Grundgesetz ernst nehmen, müssten die Staatsleistungen an die Kirchen allesamt ersatzlos und entschädigungslos einstellen. Alles andere ist ein fortgesetzter Schaden für die Steuerzahler und das Gemeinwohl.

Was hat das außerdem überhaupt noch mit Demokratie zu tun, wenn Millionen von der Kirche verdammte Bürger in dieser Demokratie eine zutiefst undemokratische Institution mitfinanzieren müssen? Unterstützt und billigt der Staat damit nicht auch alles, was diese Religionskonglomerate lehren und tun? Und verweigert er insbesondere seinen jungen Staatsbürgern hier nicht den Schutz von Leben und Gesundheit, wenn er weiterhin toleriert, dass kirchenintern überführte Straftäter nicht der Polizei gemeldet werden müssen, sondern nach kirchlichem Ermessen z. B. dort nur versetzt werden, bei sexuellen Schwerverbrechen vielfach ins Ausland?

Und wer ist nun schuld? Die Kirche oder der Staat, der so eine mit Verbrechen belastete Institution einfach wirken lässt und aufs Ganze gesehen auch noch mit Milliarden finanziert? Haben die Kirchen den Staat wirklich so fest im Griff, um nicht zu sagen: in den Klauen?
Bekannte Politiker wie Angela Merkel oder Markus Söder wünschten sich ausdrücklich “starke Kirchen”, und sie sind bei weitem nicht die einzigen.

Das Volk will eine Regierung, die ihm Arbeit verschafft, damit es leben kann. Damit kann es dann die Steuern an die Regierung zahlen, mit denen die Regierenden wiederum die Kirchen bezahlen. Für das Volk gibt es daher kaum einen Unterschied zwischen Regierung und Kirche. Das Volk steht unter der Gewalt der beiden Schwerter – und eines davon, das kirchliche, gibt den Ton an. Für das Volk macht es keinen wesentlichen Unterschied, unter wessen es Schwert es steht. Es muss bezahlen und am Ende kassiert immer die Kirche. Wie lange noch?

(57:00)

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